Die Löslichkeit von Schwermetallen

… oder was in einer Villa in Berlin-Dahlem passierte.

Fast jeder in meinem Freundes- und Bekanntenkreis hat schon einmal etwas gewonnen. Ich selbst bin keine Ausnahme. Dabei handelte es sich aber eher um Preise bei Gewinnspielen oder kleine Geldbeträge. Für verschiedene Bereiche des Lebens werden aber auch Auszeichnungen spezieller Art verliehen. Für Schauspieler sind es Preise wie der „Oscar“ oder der „Emmy“, für Musiker ist es der „MTV Music Award.“ In der Literatur zählen der „Hans Christian Andersen Award“ oder der „Erich Fried Preis“ zu den begehrten Auszeichnungen. Die mit Abstand höchste Auszeichnung ist der „Nobelpreis“, der jährlich in verschiedenen Kategorien vergeben wird. Vor allem sind es Personen aus dem Bereich der Naturwissenschaften, die damit für ihre Forschungstätigkeit belohnt werden. Den Nobelpreis und seine Herkunft brauche ich hier nicht gesondert erwähnen. Doch wie sieht es mit dem „Clara Immerwahr Award“ aus, der seit 2012 von der Technischen Universität Berlin an junge Nachwuchsforscherinnen vergeben wird? Klingelt nichts? Nun dann ist es an der Zeit sich mit der Namensgeberin dieser Auszeichnung eingehender zu beschäftigen.

Clara Immerwahr

Clara Immerwahr

Das Leben von Clara Immerwahr beginnt beschaulich im Jahr 1870 in einem kleinen Ort nahe Breslau. Es endet allerdings äußerst tragisch 1915 in Berlin. Clara ist die Tochter des Chemikers Dr. Philipp Immerwahr, der sich vor allem mit Kunstdüngerforschung beschäftigte. Clara Immerwahr folgte den Fußstapfen ihres Vaters und begann mit dem Studium der Chemie an der Universität Breslau. Sie erlangte als erste Frau an dieser Universität die Doktorwürde für ihre Arbeit „Beiträge zur Löslichkeitsbestimmung schwerlöslicher Salze des Quecksilbers, Kupfers, Bleis, Cadmiums und Zinks“ im Jahr 1900. Mittels elektrochemischer Messungen zeigte Clara Immerwahr die Löslichkeit von Schwermetallen auf. Nur ein Jahr nach ihrer Promotion heiratete die frisch gebackene Doktorin einen Mann namens Fritz Haber. Dieser war als Außerordentlicher Professor an der Technischen Hochschule Karlsruhe beschäftigt. Geplant war, dass Clara sich an der Forschung ihres Mannes beteiligen, aber auch Zeit für ihre eigene Arbeit haben sollte. Aufgrund der Geburt ihres Sohnes konnte Clara Immerwahr diesen Plan allerdings nicht verwirklichen. An so etwas wie Vaterkarenz dachte damals wahrlich noch niemand.

Fritz Haber

Fritz Haber

Fritz Haber konnte seine Forschungen ungestört von Kindererziehung weiterführen und wurde zum Direktor des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Physikalische Chemie in Berlin befördert. 1910 zog die kleine Familie in die heute sogenannte „Haber-Villa“ in Berlin-Dahlem ein. Damit nahm die Tragödie in den Jahren vor dem 1. Weltkrieg ihren Lauf. Ausgelöst durch die Ermordung des österreichischen Thronfolgers Franz Ferdinand in Sarajevo 1914 stürzte die Welt in einen Krieg hinein, der neue, noch schrecklichere Ausmaße annahm. Neue Waffengattungen wie Giftgas oder Panzer wurden eingesetzt. Auch Fritz Haber wollte seinen Beitrag für das Vaterland leisten und trat in die Armee ein. Seine Forschungen beschäftigen sich nun mit der Entwicklung von Giftgasen, die gegen feindliche Truppen zum Einsatz kommen sollen. Für Clara Immerwahr ist dies nicht mit ihren Wertvorstellungen, vor allem als Wissenschaftlerin, vereinbart. Als ihr Mann dann auch noch zum Leiter der Abteilung für die Forschung mit Kampfgas befördert wurde, übte sie in aller Öffentlichkeit Kritik an diesem Vorhaben. Clara Immerwahr bezeichnete es als eine „Perversion der Wissenschaft“. In der heutigen Zeit sind wir es gewohnt unsere Meinung zu sagen. Aber für die damalige Zeit war dies ein überaus mutiger Schritt von Clara Immerwahr, wenngleich er auch eher ungehört verhallte.

Fritz Haber ließ sich von der Meinung seiner Gattin nicht beirren und trieb seine Forschung weiter voran. Am 22. April 1915 kam es zum ersten Mal in der Geschichte zu einem Großeinsatz von Giftgas. In der sogenannten „Zweiten Flandernschlacht“ bei Ypern wurden 150 Tonnen Chlorgas freigesetzt. Für die Entwicklung der Methode zeigte sich Fritz Haber verantwortlich. Am 2. Mai feierte man diesen „Sieg“. Am Morgen darauf fand man Clara Immerwahr erschossen im Garten der Villa vor. Sie hatte sich selbst das Leben genommen. Man geht aller Wahrscheinlichkeit davon aus, dass sie auf diese Art und Weise gegen die Taten ihres Mannes protesierte. Leider sind keine schriftlichen Quellen mehr dazu vorhanden. Was Fritz Haber betrifft, ging er unbeirrt auf seinem Weg weiter. Er ließ sich nach Galizien versetzen und war an weiteren Giftgaseinsätzen maßgeblich beteiligt. Haber forschte auch an der Synthese von Ammoniak. Dadurch konnte Stickstoffdünger in die Massenproduktion gehen. Dafür wurde Fritz Haber 1918 mit dem Nobelpreis für Chemie ausgezeichnet. Weiters versuchte er sich auf dem Gebiet der Goldgewinnung aus Meereswasser.

Im Garten der „Haber-Villa“ erinnert ein kleiner Gedenkstein an Clara Immerwahr und ihre Überzeugung. In Deutschland sind mehrere Straßen und Plätze nach ihr benannt. Neben dem bereits erwähnten „Clara Immerwahr Award“ gibt es noch zwei Auszeichnung im Gedenken an diese Frau. Die Technische Universität Kaiserslautern hat 2015 begonnen, den „Clara Immerwahr Preis“ für weibliche Studierende im Bereich „Bio- und Chemieingenieurswissenschaften“ zu vergeben. Weiters verleiht der Verein „Internationale Ärzten gegen den Atomkrieg, Ärzte in Sozialer Verantwortung“ den „Clara Immerwahr Award für Zivilcourage“. Leider sah diese intelligente, junge Frau keine andere Möglichkeit als den Freitod, um ihrer Meinung Ausdruck zu verleihen. In der heutigen Zeit haben wir mehr Mittel und Wege unseren Unmut kund zu tun. Wir müssen sie nur nutzen.

Ruhe in Frieden Clara Immerwahr! Beim nächsten Mal steht ein Künstler des Humanismus im Mittelpunkt des Interesses.

„Der Krieg ist in wachsendem Umfang kein Kampf mehr, sondern ein Ausrotten durch Technik.“ (Karl Jaspers)

 

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2 Antworten zu Die Löslichkeit von Schwermetallen

  1. feeliguster schreibt:

    Danke für diesen Beitrag! Diese Frau hat es sich verdient, dass man sich an sie erinnert.

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